Sechs Medaillengewinne aus neun Entscheidungen lautet die Schweizer Zielsetzung für die Orientierungslauf-Weltmeisterschaften vom 5. bis 12. Juli in Norditalien. Die EM-Bilanz vor drei Monaten mit acht Podestplätzen gibt dazu berechtigte Hoffnungen.

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Im Stadtteil Arsenale findet der WM-Sprintfinal statt.
Das seit 2001 unveränderte WM-Programm - vor 13 Jahren wurde die für die Schweiz äusserst erfolgreiche Sprintdisziplin eingeführt - erfährt in diesem Jahr gleich mehrere Anpassungen. Die gemischte Sprintstaffel mit je zwei Frauen und Männern kommt als neunter Final hinzu, dazu sind die Qualifikationsläufe über Mittel- und Langdistanz gestrichen. Als zusätzliche Besonderheit gilt die dezentrale Austragung dieser WM: Der Sprint-Auftakt am Samstag erfolgt in Venedig, die Sprintstaffel findet am Montag in der Altstadt von Trento statt, und für die weiteren drei Bewerbe geht es in das voralpine Gelände zwischen Rovereto und Asiago.

Nachdem die Schweizer Equipe schon zweimal während der Schwangerschaften an der WM auf Simone Niggli hatte verzichten müssen, kann das diesjährige WM-Team nun definitiv nicht mehr auf die 23-fache Weltmeisterin zählen. Das scheint angesichts der WM-Ergebnisse 2013 eine zusätzliche Hürde, hatte doch Niggli vor Jahresfrist in Finnland allein für die drei Einzelgoldmedaillen gesorgt und die Frauenstaffel auf den Bronzeplatz geführt, wogegen das Männerteam erstmals seit 2004 ohne Podestplatz hatte heimreisen müssen. Doch das Potenzial zu Edelmetall ist bei den Männern da, verteilen sich die Medaillenhoffnungen auch auf mehr Schultern als bei den Frauen, wo die grössten Erwartungen auf der dreifachen Europameisterin Judith Wyder ruhen.

Von den sieben Läuferinnen und sechs Läufern, die das Schweizer Team bilden, stehen drei im Vordergrund, die mit je vier WM-Einsätzen am meisten gefordert sind: Daniel Hubmann, Judith Wyder und Matthias Kyburz.

Nach dem verletzungsbedingten Fehlen an der Heim-WM 2012 sowie den verpassten Top-3-Klassierungen 2013 hat sich Daniel Hubmann wieder zum Teamleader gesteigert. Der 13-fache WM- und 10-fache EM-Medaillengewinner liegt an der Spitze der aktuellen Weltcup-Gesamtwertung und gehört in allen Einzeldisziplinen zum Kreis der Titelanwärter. "Es war mir wichtig, dass ich nach der Verletzung Schritt um Schritt aufbauen konnte, und so habe ich mir auch die erforderliche Zeit geben müssen", sagt Hubmann. Der Thurgauer, der seit acht Jahren als OL-Profi lebt, hat schon WM-Siege im Sprint (2011) wie auch über die Langdistanz (2008/2009) auf seinem Konto. "Es ist naheliegend, dass das Ziel Medaille lautet, dass es für eine zufriedenstellende Rückkehr nochmals Gold braucht. Im Sprint ist vieles ungewiss, da kann man gut laufen und steht trotzdem nicht auf dem Podest. In der Staffel habe ich zwar auch schon WM-Gold von 2009, aber weil dannzumal die Spitzenläufer wegen eines Unfalls das Rennen abgebrochen haben, bedeutet diese Medaille nicht viel. Da ich über die Mitteldistanz noch nie gewonnen habe, hätte dies einen besonderen Reiz, aber am Ende würde ich einen neuerlichen Sieg über die klassische Langdistanz bevorzugen", umschreibt Hubmann seine Hoffnungenfür die zehnte WM-Teilnahme.

"Für mich gilt die Langdistanz als eine Art Hassliebe", sagt Matthias Kyburz. 2012 in Lausanne Sprint-Weltmeister, Weltcup-Gesamtsieger der letzten beiden Jahre sowie vor Jahresfrist als WM-Fünfter und Vierter zweimal nur knapp an Edelmetall vorbei, will Kyburz diesmal in der "Königsdisziplin" punkten. "National sind mir schon Superläufe gelungen, aber nicht an internationalen Meisterschaften. Ich habe mich verkrampft, darum ist es jeweils auch physisch nicht aufgegangen. Ich habe deshalb ein Mentalprojekt lanciert. In diesem Wettkampf hat man mehr Zeit, um sich Gedanken zu machen. Diese will ich besser kontrollieren und in einen positiven Kämpfermodus ummünzen können", erklärt Kyburz.

"Physisch bin ich parat. Mein Ziel ist es nun, technisch fokussiert zu laufen, und daraus wird dann auch das gute Resultat kommen", erläutert Judith Wyder ihre Vorgaben. Die dreifache Europameisterin ist im April in Portugal endgültig in die Weltspitze vorgestossen und möchte dies nun an der WM bestätigen. "Physisch bin ich wieder einen Schritt weitergekommen, und im Kopf habe ich auch einen Schritt vorwärts gemacht", gibt sich die Bernerin sehr zuversichtlich. "Ich habe die Zusammenarbeit mit Psychologin Andrea Binggeli auf diese Saison hin intensiviert um mental stabiler zu werden, damit ich es schaffe, grosse Fehler kleiner zu machen."

Zu Hubmann, Kyburz und Wyder gesellen sich weitere Läuferinnen und Läufer mit berechtigten Medaillenhoffnungen. Fabian Hertner ist bereits zum achten Mal an einer WM dabei und verfügt mit drei WM-Medaillengewinnen sowie vier EM-Podestplätzen ebenfalls über ein beachtliches Palmares. Zudem sorgte Hertner vor Monatsfrist an den beiden Weltcupläufen in Norwegen für die konstanteste Leistung. Martin Hubmann und Julia Gross als EM-Dritte im Sprint sind erneut für eine Topklassierung gut, und mit der gemischten Sprintstaffel wird eine neue Disziplin ausgetragen, in der die Schweiz in der Besetzung Rahel Friederich, Martin Hubmann, Matthias Kyburz und Judith Wyder durchaus an Medaillen denken darf.

"Primär Dänemark, dazu Schweden und Grossbritannien", zählt Kyburz als Hauptkonkurrenten für diese Disziplin auf, wobei er auf die Besonderheit der Teilstrecken-Abfolge verweist. "Mit Start- und Schluss-Strecke sind die Frauen exponierter. Die Nummer eins muss dranbleiben können, sonst wird es für die Männer auf den Strecken zwei und drei schwierig."

In den Einzelwettkämpfen stehen die bekannten Namen zuoberst auf der Favoritenliste: Die 21-jährige Weltcupleaderin Tove Alexandersson und ihre schwedischen Teamkolleginnen, die Däninnen Maja Alm und Emma Klingenberg sowie die Ukrainerin Nadiya Volynska. Die Schweden Jerker Lysell und Jonas Leadersson im Sprint, Gustav Bergman (SWE) und Olav Lundanes (NOR) in den Walddisziplinen heissen einige Titelanwärter bei den Männern. Und nicht zu vergessen ist weiterhin der Franzose Thierry Gueorgiou, der bei seiner 15. (!) WM-Teilnahme den 18. Medaillengewinn anstrebt.

wm_kader14k.jpgDas Schweizer Team

Männer

Fabian Hertner Fabian (Winterthur/Mittel, Lang, Staffel)
Daniel Hubmann Daniel (Herrenschwanden/Sprint, Mittel, Lang, Staffel)
Martin Hubmann (Eschlikon/Sprint, Sprintstaffel)
Andreas Kyburz (Möhlin/Mittel)
Matthias Kyburz (Möhlin/Sprint, Sprintstaffel, Lang, Staffel)
Baptiste Rollier (Boudevilliers/Mittel, Lang)

Frauen
Ines Brodmann Ines (Aarau/Lang)
Rahel Friederich (Winterthur/Sprint, Sprintstaffel)
Julia Gross (Richterswil/Sprint, Lang)
Sabine Hauswirth (Belp/Mittel, Staffel)
Sarina Jenzer (Bremgarten BE/Mittel, Lang)
Sara Lüscher (Winterthur/Mittel, Staffel)
Judith Wyder (Zimmerwald/Sprint, Sprintstaffel, Lang, Staffel)