Im strahlenden Sonnenschein bestritt die internationale Ski-OL Elite heute am Weltcup eine Mitteldistanz, die sich gewaschen hatte. Aus Schweizer Perspektive erreichten Gion Schnyder auf dem 7. und Alina Niggli auf dem 8. Rang die besten Klassierungen.
Nach abgeschlossenem Wettkampf brütet das Schweizer Team gemeinsam über der GPS-Aufzeichnung des Rennens. Viel gibt es zu sehen auf dem grossen Bildschirm: An ein Wimmelbild erinnern die durch das Bahn-Wirrwarr laufenden Punkte, die die Athleten und Athletinnen repräsentieren. Das Spurnetz, dicht wie ein Spinnennetz aber weniger geometrisch, verwirrender, zieht sich über einen Hang, auf dem sich Flecken von leichtem Wald mit offenen Sumpfpartien abwechseln. Auf dem GPS nicht zu sehen sind die flach strahlende, gleissende Sonne und der gerade in den offenen Teilen des Wettkampfgebiets starke Wind.
Eine ungewohnte Herausforderung
Dafür lassen sich Zeit und Raum in dieser virtuellen Version des heutigen Wettkampfs so verschieben, dass sich detaillierte Analysen anstellen lassen: Wie schnelle Skis Athleten im Vergleich mit anderen Nationen hatten, lässt sich beispielsweise an technisch wenig anspruchsvollen Abfahrten abschätzen. Die von Lars Beglinger und Jyrki Tuokko präparierten Skis übrigens, so Alina Niggli, seien heute super gewesen.
Nicht alle Schweizer GPS-Punkte bewegen sich allerdings flüssig durch das Labyrinth. Manche bleiben an einer der unzähligen Kreuzungen stehen oder biegen falsch ab.
Delegationsleiter Lars Beglinger sitzt auch dabei. Wie schätzt er die Teamleistung ein?
Es sei witzig, meint Beglinger, der nicht nur viele der Athletinnen und Athleten, sondern auch das Laufgefühl bei solch anspruchsvollen Wettkämpfen aus seiner Zeit als Kadermitglied gut kennt. Beglinger führt aus: “Es gab schon viele lustige Routen, Stürze und irgendwo an einer Kreuzung plötzlich einfach Pausenmomente. Mit dem Eindruck, der das GPS vermittelt, hätte ich nicht erwartet, dass die Teamleistung, was die Rückstandsprozente betrifft, eigentlich doch dem entspricht, was wir im Moment erwarten können.”
“Zwar vielleicht nicht jeder einzelne, aber das Team als Ganzes ist auf höherem Niveau gelaufen als die Rückstandsprozentananlysen der bisherigen Wettkämpfe voraussagen” bestätigt auch Kadertrainer Gion Schyder.
Es ist anzunehmen, dass die im GPS sichtbaren Defizite auch dadurch zu erklären sind, dass Bedingungen und ein Spurnetz, wie sie die heutigen Mitteldistanz ausmachten, in der Schweiz nicht trainiert werden können. So überrascht die erneute Dominanz der nordischen Nationen kaum:
Bei den Frauen gewinnt Anna Ulvensøen aus Norwegen mit über einer Minute Vorsprung auf die Finnin Amanda Yli Futka. Dritte wird Daisy Kudre-Schnyder aus Estland.
Der Norweger Jörgen Baklid gewinnt beim Wettkampf der Männer vor den beiden Schweden Jonatan Ståhl als Zweiter (+00:17) und Andrei Lamov als Dritter (+00:28).
Wieder Top-10 für Gion Schnyder
Bester Schweizer wurde Teamleader Gion Schnyder, der sein gestriges starkes Resultat heute gar übertreffen konnte. Er klassierte sich mit 2:03 Rückstand als Siebter. Es sei ein sehr kontrollierter, fast schon ängstlicher Lauf gewesen, so Schnyder. “Ich klammerte mich richtiggehend an die Karte, um jederzeit die Kontrolle zu behalten. Das für mich erfreuliche Resultat entstand vorwiegend aus einer O-technisch und taktisch stabilen Leistung“, erzählt der erfahrene Athlet und Trainer. Trotzdem fehle es ihm noch etwas an Selbstvertrauen. Die Erfahrung zeigt aber: Es bleibt noch Zeit, daran zu arbeiten.
Gian-Andri Müller (26. Rang) berichtet von einem technisch schwierigen Wettkampf. Er sei aber eigentlich sauber durchgekommen. Die wenigen Fehler, bzw. Unsicherheiten seien, und darin widerspiegelt sich Beglingers Analyse, mit Blick auf das dichte Spurnetz zu erwarten und somit eigentlich in Ordnung.
Andri Jordi konnte dank guter Vorbereitung ein gelungenes Rennen zeigen (28. Rang), wenn auch bei vielen Routenwahlen mehr möglich gewesen wäre. Indem sich er auf die technische Herausforderung des komplexen Spurnetzes und die physische Herausforderung des weichen Schnees einstellte, konnte er ein gutes Laufgefühl kreieren. Der Berner Oberländer sieht aber noch viel Luft nach oben, an der er morgen zu schnuppern gedenkt.
Ähnlich erging es Corsin Boos (30.), Nicola Müller (31.), Corsin Müller (33.) und Flavio Erler (38).
Zweites U23-Diplom für Alina Niggli
Bei den Frauen konnte Alina Niggli die Leistung aus dem gestrigen Sprint bestätigen und ihre gute Form erneut zur Geltung bringen, was ihr heute als Vierte wieder ein Diplom in der U23-WM einbrachte. Die Westschweizerin sprach von einem technisch anspruchsvollen, aber dank sorgfältiger Kartenarbeit sicheren Rennen, das «viel Spass gemacht hat». Das Vorwärtskommen in den Spuren war auch heute wieder besonders kräftezehrend, aber mit ihrer physischen Leistung sei sie zufrieden. Nigglis Zeit kommt dem achten Platz im Gesamtfeld gleich. Mit vier U23-Athletinnen in den besten acht zeichnet sich bei den Frauen Elite also womöglich ein Übergang zu einer neuen Generation ab, welche die Rennen in Zukunft prägen wird. Dass die Schweiz mit Niggli und der abwesenden Eliane Deininger an dieser Entwicklung beteiligt ist, ist sehr erfreulich und deutet darauf hin, dass im Swiss Ski-O Team gute Arbeit geleistet wird.
Flurina Müller gelang es, alles, was gestern gut funktioniert hat, heute wieder in ähnlichem Stil umzusetzen und sie wurde für ein sauberes Rennen mit Rang 25 belohnt. «Das schenkt mir Selbstvertrauen für morgen, damit ich dann hoffentlich mit noch ein wenig mehr Power laufen kann», konstatiert die Einsiedlerin.
Delia Giezendanner konnte keinen ganz so guten Lauf verzeichnen (Rang 32) und hatte immer wieder kleine Fehler oder Unsicherheiten zu beklagen. Dazu gesellte sich das Gefühl, in den Spuren konstant Zeit zu verlieren. Angesichts der fantastischen Kulisse und der spannenden Bahn habe sie den Lauf trotzdem genossen und freue sich auf die abschliessende Verfolgung morgen und die Chance, die Lehren der letzten beiden Tage umzusetzen.
Elin Neuenschwander konnte sich im Vergleich zu gestern deutlich steigern und kam nahe an Teamkollegin Giezendanner heran (Rang 34). Das Tempo etwas herunterzuschrauben, mag gegen die Intuition gehen, hat sich für sie genauso gelohnt wie für die meisten anderen Athletinnen, die zufrieden im Ziel einliefen.
Morgen, wenn gegeben durch das Verfolgungsformat Hektik im dichten Spurnetz von Sjusjön aufkommen wird, bleibt die Kontrolle zu behalten vermutlich Teil des Erfolgsrezepts und es ist zu hoffen, dass sich das möglichst viele Schweizerinnen und Schweizer in der Hitze des Gefechts zu Herzen nehmen können. Bei der Verfolgung starten die Athletinnen und Athleten mit ihrem Rückstand des gestrigen Sprints. Was ist dabei technisch zu erwarten? Was wird taktisch wichtig?
Gian-Andri Müller stellt sich auf ein gegnerkontaktreiches Rennen ein. Er nimmt sich vor, ganz bewusst Zeit in geschickte Routenwahlentscheide zu investieren. In Anbetracht der nahezu grenzenlosen Anzahl möglicher Routen in den 300 Kreuzungen pro Quadratkilometer sicher eine gewinnversprechende Taktik. Auch Alina Niggli ist sich der Hektik der morgigen Wettkampfform bewusst. “Ruhig, Zeit nehmen”, so ihr Plan. Und: “Pushen am Schluss!” Klingt gut.
Was ihre Konzepte taugen, wenn sie morgen auf die Realität treffen, wird sich herausstellen. Für Alina Niggli, für Gian-Andri Müller, für das ganze Schweizer Team.
Wer das abschliessende Spektakel dieser Weltcuprunde live verfolgen will, findet Liveresultate (auch von heute) und GPS-Übertragung morgen ab 10 Uhr auf: https://orienteering.sport/event/ski-orienteering-world-cup-round-1-4/live/.
Titelbild: Gion Schnyder läuft an der Weltcup-Mitteldistanz in Norwegen auf Rang 7.
(Text: Lea Widmer und Andrin Bieri; Bilder: Martin Jörg (Titel) und Andrin Bieri)